Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern gaben die Düsseldorfer Erklärung ab, nachdem erhebliche Mängel in der Umsetzung der UN-Behinderten rechtskonvention (UN-BRK) festgestellt wurden. Obwohl es verbindliche Rechtsgrundlagen zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen gibt, hapert es deutlich an der Durchsetzung bestimmter Kriterien.
Die Anforderungen aus Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention (BRK) der UN sind klar definiert:
- Menschen mit Behinderungen sollen die gleichen Möglichkeiten haben, in der Gemeinschaft zu leben, wie andere Menschen.
- Sie haben das Recht, in die Gemeinschaft voll einbezogen zu werden und an ihr gleichberechtigt teilzuhaben.
- Sie sollen Zugang zu gemeindenahen Unterstützungsdiensten einschließlich der Persönlichen Assistenz haben, der es ihnen ermöglicht, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können und nicht isoliert und ausgesondert zu werden.
- Sie sollen Zugang zu Dienstleistungen und Einrichtungen erhalten, die für die Allgemeinheit bestimmt sind und die auch ihre Anforderungen und Bedürfnisse zu berücksichtigen haben.
Bisher wurden diese rechtsverbindlichen Anforderungen nur zum Teil oder ansatzweise umgesetzt. Daher haben bereits im Jahr 2012 Bund und Länder eine Einigung im Fiskalpakt gefunden. Es soll demnach unter Einbeziehung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ein neues Bundesleistungsgesetz in der darauf folgenden Legislaturperiode erarbeitet und in Kraft gesetzt werden. Durch dieses sollen die rechtlichen Vorschriften zur Eingliederungshilfe abgelöst werden. Eine Richtungsweisung wurde somit festgelegt, nun halten es die Behindertenbeauftragten für wichtig, Stellung zu beziehen. Die Umsetzung der Möglichkeiten in Bezug auf eine barrierefreie Öffentlichkeit, die aktive Teilnahme – auch durch Unterstützung – am gemeinschaftlichen Leben sowie Bildung oder Förderung erfolgte bisher nicht in wünschenswerter Weise.
Die Erklärung soll Grundlagen und Problematiken direkt definieren und klare Anforderungen formulieren. Sie befasst sich detailliert mit wichtigen Forderungen (Zitat):
Behinderte Menschen sind nicht behindert – sie werden behindert. Mit dieser einfachen Darstellung wird häufig der Paradigmenwechsel zwischen bisherigem Recht
und der UN-Konvention beschrieben. Tatsächlich ist in Deutschland die Defizitorientierung auch rechtlich immer noch verbreitet. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention heißt es nun: „Zu den Menschen mit Behinderung zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren ihre volle und wirksame Teilhabe gleichberechtigt mit anderen an der Gesellschaft behindern können.“ Dieser an den Menschenrechten orientierte Behinderungsbegriff muss in die deutschen Gesetze aufgenommen werden.
Ebenso wie bei der Diskussion des Begriffs der Behinderung stehen wir bei der Definition "Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" vor der Frage, was dies für das deutsche Rechtssystem, insbesondere auch für das Sozialrecht bedeutet. Nur, wenn wir dies einwandfrei beschreiben, lassen sich die Ansprüche des Einzelnen ohne
langwierige rechtliche Auseinandersetzungen erfassen und ableiten. Es ist notwendig, dass der Gesetzgeber dies von Anfang an vorgibt und Teilhabeleistungen klar auf den persönlichen Bedarf der Menschen mit Behinderung festlegt.
Die Menschen mit Behinderung fühlen sich im Sozialamt nicht richtig aufgehoben. Auch ein neues SGB XIII, welches von den Grundsätzen, Prinzipien und Überzeugungen der Sozialhilfe bestimmt wird, würde von den Betroffenen und ihren Familien nicht akzeptiert. Die Beauftragten des Bundes und der Länder sprechen sich für eine Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe aus und sehen im SGB IX das geeignete Regelwerk, die rechtlichen Grundlagen für Teilhabeleistungen weiter zu entwickeln. Die Beauftragten fordern, den Vorschlag für ein Gesetz zur sozialen Teilhabe des Forums behinderter Juristinnen und Juristen für die Neuregelung der Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung als Beratungsgrundlage einzubeziehen.
Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen muss fallen!
Nicht alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderung erhalten die Leistungen zur Förderung der Teilhabe, die sie entsprechend ihres individuellen Bedarfs benötigen.
Insbesondere dann, wenn neben Teilhabeleistungen durch Sozialleistungsträger auch noch Leistungen der Erziehungshilfe benötigt werden, kommt es zu Verwerfungen. Der Gesetzgeber muss durch geeignete Maßnahmen gewährleisten, dass künftig alle Kinder und Jugendlichen die ihrem Bedarf entsprechenden Leistungen aus einer Hand erhalten. Dabei sollen die Überlegungen der „Großen Lösung“ einbezogen werden.
Die Umsetzung des Teilhabegeldes für Menschen mit Behinderung in einem Bundesleistungsgesetz kann schnell die genannten Anforderung des Artikels 19 BRK
umsetzen und gleichzeitig eine indirekte Entlastung im Sinne der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern erzielen. Die Behindertenbeauftragten fordern daher die Umsetzung eines Teilhabegeldes.
Die dazu im SGB IX enthaltenen Verwaltungs- und Verfahrensvorschriften müssen von allen Trägern von Teilhabeleistungen vollzogen werden. Die Bundesregierung
sollte dies in den Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der BRK klarstellen. Die
Bedarfsermittlung und Bedarfsfeststellung der verschiedenen zuständigen Stellen muss zusammengeführt und vereinheitlicht werden.
Wir stellen fest, dass Kostenträger nach wirtschaftlichen Interessen ihrer Kassenlage und nicht nach geltendem Recht Entscheidungen treffen. Dies führt häufig zur Nicht- oder Minderleistung. Bund und Länder müssen die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Leistungsträgern effektiver gestalten, damit die Betroffenen unbürokratisch ihre Ansprüche durchsetzen können.
Die Umsetzung des Persönlichen Budgets – dazu gehört auch das Budget für Arbeit - wird durch die Behörden erschwert. Für viele Menschen mit Behinderung ist aber gerade das Persönliche Budget der Weg zum selbstbestimmten Leben.
Fachkundige Beratung darf nicht erst mit der Leistungsberatung einsetzen, sondern muss von der erstmaligen Wahrnehmung einer Behinderung an beginnen und sich nahtlos bis zur Inklusion in die Gesellschaft fortsetzen.
Menschen mit Behinderung bleibt es häufig verwehrt. Dies muss im Sinne der in Art. 3 UN-BRK verankerten Freiheit, unabhängig eigene Entscheidungen treffen zu können, verändert werden.
Die Erarbeitung von Vorlagen und Empfehlungen der Ministerkonferenzen und ihrer Arbeitsgruppen muss transparent und unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen erfolgen. Dazu bedarf es Verbindlicher Absprachen.“ (Zitat Ende)
Der Kurswechsel 12 Jahre nach der großen Reform des Behindertenrechts zeigt die Richtung. Endlich soll in Zukunft aktiver und vor allem zielgerichteter daran gearbeitet werden, Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen.
Ingrid Körner, Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen fasst die Düsseldorfer Erklärung in ihrer Notwendigkeit zusammen:
„Menschen mit und ohne Behinderung möchten ihr Leben so selbstbestimmt wie möglich gestalten können. Es müssen nun endlich die rechtlichen Voraussetzungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung geschaffen werden, damit niemand auf Grund einer Beeinträchtigung zusätzlich behindert oder gar ausgeschlossen wird.“
Quelle: Der Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen Nordrhein-Westfalen
Foto: www.wato.de